Besser ein dummer Wanderer, als ein Weiser der zu Hause sitzt (mongolisches Sprichwort)

Unser Zug kommt am frühen Sonntagmorgen in Ulaanbaatar an. Ulaanbaatar, das ist die Hauptstadt der Mongolei und gleichzeitig auch die einzige Stadt weit und breit. Sie hat etwa 1,5 Millionen Einwohner. Damit lebt dort knapp die Hälfte aller Mongolen.


Als wir aus dem Zug aussteigen, geht gerade die Sonne über den Bergen auf. Leider ist uns zu kalt, um den Anblick richtig zu genießen. Unser Hostel ist nur ca. einen Kilometer vom Bahnhof entfernt, aber auf dem Weg weht uns ein eiskalter Wind ins Gesicht. Ich habe nach fünf Minuten Gehen das Gefühl, dass meine Nase und Stirn unwiderrufliche Kälteschäden davongetragen haben.


Die Gegend um den Bahnhof wirkt postapokalyptisch. Wir laufen auf einem unebenen Gehsteig, in dem alle paar Meter knietiefe Löcher sind, und passieren alte Häuschen mit eingeschlagenen Fenstern und schiefen Mauern. Auf einem Spielplatz mit ausrangierten Spielgeräten liegen Müll und Schutt. Bis auf ein paar Autos, die auf der Schnellstraße an uns vorbeifahren, sind die Straßen menschenleer.


Zum Glück ist die Rezeption in unserem Hostel bereits besetzt und wir dürfen auch gleich unser Zimmer beziehen. Noch nie hat sich eine Dusche besser angefühlt, als nach der dreitägigen Abstinenz im Zug!


Wir ziehen los, um einen Supermarkt zu suchen. Je weiter in die Innenstadt man kommt, desto moderner wird es. Man merkt, dass Ulaanbaatar eine Stadt im Aufbau ist. Überall stehen Baukräne, Hochhäuser werden aus dem Boden gestampft. Daneben stehen kleine, halb verfallene Holzhütten, hier und da einen Tempel und ab und zu sieht man auch in der Stadt noch eine Jurte, das für die mongolischen Nomaden typische runde Zelt.


Wir wollen eine Woche in der Mongolei bleiben. Ulaanbaatar bietet, auch nach ausgiebiger Recherche im Internet, nicht allzu viele Sehenswürdigkeiten, und so spazieren wir einfach jeden Tag in eine andere Ecke der Stadt. Die Innenstadt ist Alles in Allem überschaubar. Das Wetter in den ersten Tagen ist super. Wir haben tagsüber um die 14 Grad und Sonnenschein.


Da der Wechselkurs für uns gerade sehr günstig steht und Essen gehen in der Mongolei relativ preiswert ist, machen Rudi und ich es und zum Höhepunkt jedes Tages ein neues, interessantes Restaurant zu entdecken. Besonders gefällt uns ein Laden in dem es Hotpot, also chinesisches Fondue mit Brühe, gibt. Dabei kann man auf einer eingebauten Herdplatte am Tisch selbst seine Suppe in einem kleinen Metalltopf kochen. Rudi möchte am liebsten jeden Tag dort hingehen und überlegt sich schon am Abend zuvor, welche Zutaten er am nächsten Tag bestellen wird.


Im Gegensatz zu unserem ersten Eindruck, ist der Verkehr tagsüber durchaus beträchtlich. Und wild! Überall wird gehupt. Man hupt wenn man geradeaus fährt, man hupt wenn man abbiegt. Und besonders hupt man, wenn man im Stau steht. Außerdem bleiben uns die mongolischen Straßenverkehrsregeln bis zum Ende unseres Aufenthalts ein Rätsel. Geht man nun über die Straße wenn es grün ist oder rot? Naja, Hauptsache die Mongolen wissen es. So richten wir uns nach den anderen Passanten und achten immer darauf, genau in der Mitte der Menschenmasse zu laufen, sodass wir bei einem eventuellen Unfall nicht das erste Opfer des wütend hupenden Autofahrers werden.


In einer Tempelanlage (eine der wenigen echten Sehenswürdigkeiten der Stadt) treffen wir zufällig Gabby und Tom wieder, unsere beiden Australier aus dem Zug. Die beiden haben gehört, dass am Abend zum 375. Jubiläum der Stadt auf dem Hauptplatz ein Konzert stattfinden soll. Außerdem wird es ein Feuerwerk geben. Wir verabreden uns für später, um zusammen zu der Feier zu gehen.

Rudi und ich stellen uns auf dichtes Gedränge auf dem Platz ein. Ich packe, wie eine echt gute Touristin, nur etwas Geld in meinen Bauchgürtel. Da wir von mehreren Leuten im Hostel, die selbst schon beklaut wurden, gehört haben, dass es viele professionelle Taschendiebe gibt, bleiben Handtasche, Handy und andere Wertsachen sicherheitshalber daheim.


Als wir gegen 20:00 Uhr auf dem Platz eintreffen, spielt eine mongolische Band. Ein Sänger, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem „Gangnam Style“-Typen hat, singt abwechselnd mongolische und russische Hits. Zu unserem Erstaunen ist der Platz nicht mal annähernd voll. In dieser Millionenstadt ist Jubiläum und keiner geht hin. Wenn man sich vorstellt, dass so ein Event in Stuttgart, das etwa halb so groß ist, stattfinden würde – die Innenstadt wäre mit Menschen geflutet.


Wir beschließen, in einem nahegelegen Hotel mit Rooftop Bar etwas zu trinken und uns einen guten Platz zum Feuerwerkschauen zu sichern. Tatsächlich werden wir nicht enttäuscht und so kommen Rudi und ich in den Genuss des bereits zweiten Feuerwerks auf dieser Reise.


Für den nächsten Tag haben wir zur Abwechslung einen Ausflug auf’s Land geplant. Mitten in der mongolischen Pampa steht eine ca. 40 Meter hohe Statue des Nationalhelden Dschingis Khan. Unter seiner Herrschaft war die Mongolei einst das flächenmäßig größte Reich der Welt. Für diese Errungenschaft, und dafür, dass er die Mongolen als Volk vereint hat, wird Dschingis Khan auch heute noch heiß geliebt und verehrt. So gibt es Dschingis Khan Bier und Dschingis Khan Wodka, sein Konterfei ist auf den Geldscheinen abgedruckt, der Flughafen nach ihm benannt, und an jedem öffentlichen Platz findet man irgendwo eine Abbildung des Großkhans.  Das Reiterstandbild östlich von Ulaanbaatar ist jedoch die größte Statue von ihm und dabei auch das größte Reiterstandbild der Welt.


Wir sind an diesem Tag die einzigen Touris, die diesen Ausflug gebucht haben. Die Hauptsaison, die etwa von Mai bis September geht, ist längst vorbei. So haben wir für den Tag einen Privatchauffeur. Sein Spitzname ist Teddy und er sieht auch ein bisschen aus wie einer. Teddy spricht kein Deutsch und kein Englisch, wir kein Mongolisch. Also verständigen wir uns mit Händen und Füßen. Später findet Rudi heraus, dass unser Fahrer etwas russisch versteht, was die Kommunikation für uns erleichtert.


Leider sinkt genau am Tag unseres Ausflugs die Temperatur rapide. Während am Morgen noch die Sonne scheint, fängt es an zu schneien, als wir bei der Statue ankommen. So schießen wir nur ein paar Fotos und steigen wieder ins Auto. Das Land außerhalb der Hauptstadt ist brach und kaum bebaut. Hier und da steht mal ein kleines Häuschen, daneben einige Jurten. Dazwischen ist viel nichts. Braune Hügel soweit das Auge reicht. Im Sommer sind sie grün, erklärt uns Teddy.


Teddy kennt noch einen Tempel, den er uns gerne zeigen möchte. Dieser ist mitten im Wald. Die Straße dahin ist de facto keine. Wir holpern über Felsen und Kies. Doch die Fahrt lohnt sich. Versteckt zwischen Bäumen, ist der Eingang zu einer buddhistischen Tempelanlage, die auf einem Berg steht. Der Weg dahin ist mit Schildern gesäumt. Auf jedem ein buddhistisches Mantra. Auch wenn ich nicht religiös bin, hat die Atmosphäre dort eine seltsam beruhigende, fast meditative Wirkung auf mich.


Für den Mittag ist ein Mittagessen bei einer mongolischen Familie geplant. Es gibt einige Nomadenfamilien, die sich auf diesem Weg etwas dazuverdienen. Und für uns ist es die Gelegenheit, in einer Jurte zu sitzen und etwas einheimische Luft zu schnuppern.


Im Zelt ist es extrem warm. Mitten in der Jurte steht ein Ofen, der als Heizung und Kochgelegenheit gleichermaßen genutzt wird. Die beiden Kinder der Familie schauen auf einem kleinen Röhrenfernseher einen alten mongolischen Film. Das Essen schmeckt wirklich gut. Ich hatte etwas Bedenken, dass wir die berühmt-berüchtigte gegorene Stutenmilch, eine mongolische Spezialität, serviert bekommen. Stattdessen gibt es mit Lammfleisch gefüllte Teigtaschen, dazu Karottensalat und zum Trinken Kuhmilch aus der Thermoskanne.


Auf dem Rückweg klart es dann doch noch etwas auf, sodass wir mehr von der Landschaft zu sehen bekommen. Teddy hält für uns an besonders schönen Punkten und lässt uns aussteigen. Wir entdecken ein paar kleine Dörfchen, Flüsse und buddhistische Stätten mit Steinhaufen und bunten Fahnen. Auf der Fahrt zurück in die Stadt, zeigt uns Teddy noch einen besonderen Aussichtspunkt, von dem aus man ganz Ulaanbaatar überblicken kann. Auch von oben betrachtet, wirkt die Stadt unfertig und irgendwie geisterhaft. Ich würde gerne in zehn Jahren nochmal wiederkommen, um zu sehen, wie sehr sie sich bis dahin verändert hat.


Unsere Woche in der Mongolei neigt sich dem Ende. Dschingis Khan Airport, der einzige internationalen Flughafen der Mongolei, wirkt eher wie eine Bushaltestelle. In der Wartehalle gibt es einen kleinen Kiosk und ein Café. Ein richtiges Terminal gibt es nicht. Unser Flug nach Peking ist einer von zwei Flügen, die an diesem Tag von dort starten. Tschüß Mongolei! Und vielleicht auf Wiedersehen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Sarah (Montag, 10 November 2014 20:12)

    Ihr zwei! Ich denk ganz viel an euch... Wahnsinn was ihr in der kurzen Zeit schon alles erlebt habt. Also bei Rudis Oma möcht ich mich auch mal einnisten, sag ihm das Moni. :-) Und ich lese übrigens grad das Ove-Buch: hervorragend! Sobald klein Felix im Bett ist, wird gelesen. Bin schon gespannt auf die nächsten Einträge, ich drück euch!