Weihnachtswoche in Siem Reap (Zweiter Bericht aus Kambodscha)

Sechs Stunden holprige Fahrt mit dem vollgepackten Kleinbus bringen uns an unser nächstes Ziel, Siem Reap. Man kennt diese Stadt vor allem wegen Angkor Wat, der wohl größten und bekanntesten Tempelanlage in ganz Südostasien, die unter anderem auch auf der Nationalflagge Kambodschas abgebildet ist. Doch auch Siem Reap an sich ist sehenswert und um einiges schöner als Phnom Penh.


Gabby und Tom sind hier schon seit zwei Wochen und hatten uns bereits via Facebook vorgewarnt, dass sie uns für die komplette Zeit unseres Aufenthalts verplant haben. Beim Abendessen in der Pub Street bringen sie uns auf den neusten Stand. Die beiden sind über einen von Gabbys ehemaligen Arbeitskollegen auf eine australische Organisation aufmerksam geworden, die wohltätige Projekte in Kambodscha finanziert. Eines davon beinhaltet den Bau einer neuen Schule in einem Dorf, ca. 60 Kilometer von Siem Reap entfernt. Gabby und Tom, beide ausgebildete Bauingenieure, helfen dort nun für einige Wochen mit und überwachen den Baufortschritt. Die zwei haben sich mit Ly, dem Bauverantwortlichen angefreundet, der uns alle für den nächsten Tag zu sich nach Hause einladen möchte.


Ly, der sowieso in der Stadt zu tun hatte, holt uns am Nachmittag an unserem Hotel ab. Im Auto sitzen bereits seine Frau und die zwei kleinen Kinder auf dem Beifahrersitz, sowie Gabby auf der Rückbank. Tom hat sich eigentlich überlegt, die Strecke mit dem Roller zu fahren, doch da die Straßen etwas holprig sind und der dichte, chaotische Verkehr für einen ungeübten Fahrer schnell gefährlich werden kann, beschießen wir, ihn unterwegs auch noch aufzupicken und so fahren wir schließlich – ganz kambodschastyle – zu acht im Fünfsitzer.


Angst vor Ärger mit den Behörden müssen wir jedoch nicht haben, denn wie wir auf dem Weg erfahren, ist Ly selbst Polizist. Der Kambodschaner, der als Waisenkind aufgewachsen ist und sich mit Putzjobs seinen Englischunterricht finanziert hat, engagiert sich viel in seiner Gemeinde, wo er zusammen mit seiner Frau, seinen Schwiegereltern und den zwei Kindern in einem – für kambodschanische Verhältnisse – sehr modernen Einfamilienhaus wohnt. In seiner direkten Nachbarschaft befindet sich besagte Baustelle, aus der mal eine Schule werden soll, sowie ein Waisenhaus, deren kleine Bewohner oft bei Lys Familie zum Essen eingeladen sind oder zum Spielen mit Lys Kindern rüberkommen.


Bei Ankunft in Lys Zuhause, werden wir schon von einem kleinen schwarzen Wirbelwind begrüßt. Zu meiner großen Freude besitzt Ly seit einiger Zeit einen Welpen, der uns sofort als neue Spielgefährten identifiziert. Dino, so heißt der Hund, soll mal den Hof bewachen. Doch momentan besteht sein Lieblingsspiel noch darin, zwischen unseren Beinen herumzurennen und uns spielerisch in die Fersen zu beißen sowie die Schnürsenkel aufzumachen. 

Am Nachmittag nimmt uns Ly mit auf eine Runde durch sein Dorf. In Zusammenarbeit mit der australischen Wohltätigkeitsorganisation Help2Help (http://www.help2help.org.au/) konnte dort vor kurzem ein kleiner Junge mit Tumor im Gesicht operiert werden. Dieser ist nun seit einigen Tagen wieder zu Hause und Ly möchte nachsehen, wie es ihm geht. Wir fahren über unbefestigte Straßen, an deren Seiten sich einfache Holzhütten aneinanderreihen. Vor fast jedem Haus grast eine Kuh. Immer wieder muss Ly abbremsen und Hühner, Hunde, Kinder oder Kühe durch Hupen von der Straße vertreiben. Da gerade Trockenzeit ist, liegt über Allem eine Schicht rotbraunen Sandstaubs.


Die Familie des operierten Jungen lebt, wie viele andere in diesem Dorf, direkt am Fluss. Die Leute dort sind größtenteils sehr arm. Das Wasser des Flusses wird zum Trinken und Kochen verwendet. Im Fluss wird sich gewaschen und auch die Abflüsse landen im Fluss. Als wir vor dem Haus der Familie anhalten, kommt uns der kleine Junge schon entgegen. Trotz dicker Narben im Gesicht, sieht er Ly und uns freudestrahlend an. Wir erfahren, dass er ohne die OP wohl heute nicht mehr am Leben wäre. Während Ly sich mit der Familie des Jungen unterhält, bildet sich um uns eine immer größere Traube aus Kindern. Neugierig werden wir aus großen Augen angeschaut. Barangs – so werden westliche Menschen hier genannt – verirren sich so gut wie nie in diese Gegend Kambodschas, fernab von den größeren Städten.

Auf dem Rückweg fahren wir am Getränkemarkt vorbei und kaufen Bier für den Abend ein. Lys Frau hat für uns gekocht. Es gibt mit Hackfleisch gefüllte Wintermelonen in Brühe, Schweinesteaks mit Zitronen-Pfeffersoße, Gemüse und Reis und alles schmeckt wirklich hervorragend. Ly erzählt uns mehr über die Situation im Land – über die Armut der Menschen, die hohe Korruption, die mangelnde Förderung von Bildung durch die Regierung. Es hat sich schon viel getan, seit den Zeiten der Roten Khmer, doch so viel ist noch zu tun…


Wir schlafen in dieser Nacht auf Matratzen im ersten Stock von Lys Haus. Am nächsten Tag steht das Frühstück schon für uns bereit und ein Ly voller Tatendrang begrüßt uns. Unser Gastgeber nimmt uns mit auf einen echten kambodschanischen Dorfmarkt, wo die Bewohner täglich das selbst angebaute Obst und Gemüse zum Verkauf anbieten. Neben allerlei Feldfrüchten kann man dort aber auch alles andere kaufen: Kleidung, Schmuck, Kosmetik und Fleisch und Fisch in lebender und toter Form. Wir sehen Stände mit sich windenden Wasserschlangen und zappelnden Fischen, mit abgezogenen Kalbsköpfen und sogar einen mit einer, in haushaltsübliche Stücke geschnittenen, gehäuteten Python.


Der nächste Punkt auf unserem Tagesplan besteht aus dem Besuch einer der Dorfschulen. Doch davor kaufen wir noch in einem nahegelegenen Schreibwarenhandel 100 Hefte und Stifte ein, die wir den Kindern dort als kleines Geschenk mitbringen möchten. Da Rudi und Tom Stifte und Hefte zu langweilig finden, entscheiden sie sich, für den Spaßfaktor noch zwei Fußbälle mit in die Einkaufstasche zu packen.


Die Schule, die wir besuchen, ist ein längliches Gebäude mit nur drei Klassenzimmern. Da es zu wenig Schulen für die vielen Kinder gibt, findet der Unterricht in Kambodscha oft in zwei Schichten statt. Die eine Hälfte der Kinder geht am Vormittag zur Schule, die andere am Nachmittag. Als wir ankommen, sitzen die Kids noch brav an ihren Tischen und lernen. Ein kleines Mädchen steht an einem der scheibenlosen Fenster und sieht gebannt von außen zu. Beim Vorbeigehen sehen wir, dass ihr ganzer Kopf voller Läuse ist. 

Wir begrüßen die Lehrer, die die Schüler dazu auffordern sich in Zweierreihen vor dem Schulgebäude aufzustellen, damit wir unsere Mitbringsel verteilen können. Ein Heft und ein Bleistift für jedes Kind – ein Geschenk, das bei deutschen 10 Jährigen wahrscheinlich keine großen Begeisterungsstürme hervorrufen würde. Doch hier, wo viele Eltern sich Schulmaterialien für ihren Nachwuchs nicht leisten können, freuen sich die Kinder ehrlich darüber.


Noch mehr freuen sie sich allerdings über die Bälle, die Rudi und Tom noch schnell aus dem Kofferraum von Lys Auto holen. Fußball lässt wohl die Herzen von Jungs weltweit höher schlagen, denn auch hier werden sofort zwei Tore aus Steinen markiert und zwei Mannschaften gebildet um sich ein hartes Match zu liefern.

Die Mädchen sind anfangs etwas verhaltener, doch tauen beim „Schweinchen in der Mitte“ auch immer mehr auf und sprinten begeistert dem Ball hinterher.


Nach ca. einer Stunde kommt ein humpelnder Rudi auf mich zu. Mein fußballfanatischer Held ist beim Spielen hingefallen und hat sich beide Handflächen sowie die Knie aufgeschrammt. Ich leiste erste Hilfe und verbinde ihm die schlimmste Wunde an der Hand so gut wie es mit den paar Pflastern, die ich im Rucksack habe, geht.


Für den Nachmittag ist noch ein bisschen Arbeit auf der Baustelle geplant, also verabschieden wir uns von den Kindern und fahren mit Ly zurück zu seinem Haus. Auf dem Weg erklärt er uns, dass eine kleine Mauer um die frisch gepflanzte Limonenbäume auf dem Schulgelände gebaut werden soll. Dazu müssen wir zuerst einen Graben ausheben, in den später der Zement kommt, der die Ziegelsteine an ihrem Platz halten wird.


Rudi und Tom machen sich an die Arbeit und buddeln drauf los. Gabby überwacht währenddessen den planmäßigen Fortschritt der restlichen Baustelle. Zu meinem Erstaunen akzeptieren die kambodschanischen Bauarbeiter ihren weiblichen „Boss“ ohne weiteres und lassen sich bereitwillig von Gabby über den Platz kommandieren.
Ich versuche, mich so gut es geht nützlich zu machen und entferne mit einer Schaufel die gröbsten Steine damit Rudi es dann leichter hat mit der Hacke durchzukommen. Außerdem versorge ich die Jungs mit Wasser, das sie in der gleißenden Nachmittagshitze schneller ausschwitzen als sie trinken können.


Am Ende des Tages hat Rudi neben den Schürfwunden noch etliche Blasen an beiden Händen. Trotzdem ist er ein bisschen stolz als die kleine Mauer endlich steht. Unser Respekt für die Bauarbeiter, die diese Arbeit sechs Mal die Woche für sieben Dollar am Tag machen, steigt ins Unermessliche.

Am nächsten Tag ist Heiligabend und wir haben beschlossen, den Sonnenaufgang am Angkor Wat zu sehen. Um halb fünf Uhr morgens holen uns Gabby und Tom mit einem Tuktuk ab. Der Fahrer ist Lys Schwager, der sich bereiterklärt hat uns zu der Tempelanlage zu bringen und uns dort herumzuführen. Wir kaufen unsere Tickets und machen uns mit Taschenlampen auf den Weg um einen guten Platz zu ergattern. Wer denkt, dass am Angkor Wat um fünf Uhr morgens weniger los ist, hat weit gefehlt. Scharen von Menschen stehen bereits um den kleinen See vor dem Tempel herum. Ambitionierte Hobbyfotografen haben sich mit ihren Stativen am Ufer positioniert. Wir schlängeln uns durch die Menge und setzen uns vor die Fotografenreihe, sodass unsere Köpfe unter deren Stativen sind.

 

Irgendwie hatte ich mir das mit dem Sonnenaufgang romantischer vorgestellt. Und ruhiger. Hinter uns steht eine Meute chinesischer Touris, die sich in voller Lautstärke miteinander unterhalten. Das Mädchen hinter mir singt mit nerviger, quäkender Stimme einen chinesischen Gassenhauer nach dem anderen.  Einer der Fotografen leuchtet mit seiner ultrastarken Magnum-Taschenlampe ständig den Tempel aus, bis ihn jemand aus der Menge anschreit, das doch bitte bleiben zu lassen.

 

Zu allem Übel ist es an diesem Tag noch stark bewölkt, sodass wir von dem eigentlichen Sonnenaufgang wenig mitbekommen. Im Prinzip wird der Himmel hellschwarz, dann grau, dann blau. Nichtsdestotrotz bin ich beeindruckt, als man den Tempel endlich sehen kann. Kaum zu glauben, dass diese Mauern, die aus riesigen Ziegeln aus schwarzem Sandstein bestehen, schon vor fast 1.000 Jahren gebaut wurden. Der Bau hat insgesamt 300 Jahre gedauert, erklärt uns unser Guide, während wir durch die Gemäuer schlendern, und erzählt uns dabei Geschichten zu den vielen Reliefs und steinernen Figuren an den Wänden.

Angkor Wat ist nur ein Teil der weitläufigen Gesamtanlage Angkor mit seiner Vielzahl von historischen Bauten. Wir besuchen noch zwei weitere Tempel der Anlage, unter anderem auch Ta Prohm, das als Kulisse für den Film „Tomb Raider“ diente und dessen Markenzeichen die großen Bäume sind, die während der Jahrhunderte ihre dicken Wurzeln um die Mauern des Gebäudes geschlagen haben.

 

Nachdem wir zurück im Hotel ein paar Mützen Schlaf nachgeholt haben, treffen wir uns wieder mit Gabby und Tom, um zusammen zu einem nahegelegenen Berg zu fahren, von dem aus man eine fabelhafte Aussicht auf den Tonle Sap, den größten See Südostasiens hat. Wir haben ein paar Flaschen Wein eingekauft, die wir in der Kühlbox der Australier verstauen, und machen uns mit dem Tuktuk auf den Weg. Der Aufstieg in der Nachmittagshitze lohnt sich, denn oben erwartet uns eine wirklich beeindruckende Sicht über den See und die davorgelegenen Reisfelder. Die Wolken vom Morgen haben sich im Laufe des Tages verzogen und wir haben freien Blick auf die Sonne, die langsam hinter dem See untergeht.

 

 

Auf dem Berg lernen wir ein englisches Pärchen kennen, mit dem wir, in unserer weihnachtlichen Stimmung, großzügig unseren Wein teilen. Sara und Mike leben momentan aus beruflichen Gründen in Indien und reisen, so oft sie Urlaub bekommen, in der Welt herum. Die beiden sind uns sofort sympathisch und wir beschließen, uns zur Feier des Tages zusammen einen reinzustellen.

 

Nach einem für Heiligabend untypischen Abendessen (Curry, Reis, Frühlingsrollen), gehen wir in eine nahegelegene Bar, in der kambodschanische Mädels in knappen Weihnachtsmannkostümen, Weihnachtslieder schmettern. Mike, ein hyperaktiver, lauter und unterhaltsamer Typ, ergreift die Trinkinitiative für den Abend und bestellt erst einmal einen Pitcher eines pappsüßen „Christmas-Cocktails“ für die Runde. Wir trinken, wir quatschen, wir tanzen. Am Ende des Abends haben wir sechs Pitscher und ein paar Kurze auf der Rechnung. Nicht unser schlechtester Heiligabend.

 

Am ersten Weihnachtsfeiertag lassen wir es uns mal gut gehen uns fahren in ein nahegelegenes Fünf-Sterne-Hotel. Dort kann man für fünf Dollar den schicken Outdoor-Pool sowie die Fitness- und Saunaanlage nutzen, und so verbringe ich das erste Mal Weihnachten im Bikini. Gabby und Tom, die warme Weihnachten aus Australien gewohnt sind, sehen mich nur milde lächelnd an, als ich ihnen begeistert erkläre, wie fantastisch ich das finde.

Beim Abendessen müssen wir uns dann leider schon von den beiden verabschieden, die den nächsten Tag wieder bei Ly verbringen werden. Da wir am 27. morgens weiter nach Thailand fliegen, können wir diesmal nicht mit, verabreden uns aber, uns wenn es zeitlich klappt, in Singapur wiederzusehen.

 

 

Den letzten Tag in Siem Reap nutzen Rudi und ich noch für eine Massage, einen Friseurbesuch, ein bisschen Shopping und einen kleinen Spaziergang durch die Stadt, von der wir bisher eigentlich nur die Pubstreet und die Gegend um unser Hotel kennengelernt haben. Die Zeit hier ist völlig verflogen, aber ich freue mich auch schon auf unser nächstes Ziel, denn in Thailand werden wir, pünktlich zu Silvester, wieder Freunde aus Deutschland treffen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Sarah (Montag, 12 Januar 2015 20:00)

    Moni, das klingt echt nach einer wahnsinnigen Reise... ich habe das Gefühl, dass du als eine bisschen andere Moni zurückkehren wirst ;-) Ich finde es toll, dass ihr euch für die Kids dort engagiert (großes Lob an Rudy für die Bauarbeiten). Bei eurem Blog geht mir echt das Herz auf und ich habe das Gefühl ein klein bisschen der großen, spannenden Welt auch hier in meinem Wohnzimmer in Geo mitzukriegen. Ich drück euch!